23. Mai 2008

18:05 » „1000 True Fans“ – oder wieviele Fans braucht ein Künstler um zu überleben?

Alles digital, alles kostenlos, alles ganz einfach“, sagen die einen. „Musik ist nichts mehr wert und das Internet raubt uns die Existenzgrundlage“, behaupten die anderen. Ja was denn nun?

Das Musikantendasein ist nicht leicht heutzutage. Die „guten alten Zeiten“, die viele von uns noch allzu lebhaft im Gedächtnis verwahren, sind passé. Aber das wissen wir ja inzwischen. Neue Ideen und Modelle sind deshalb gerne willkommen und tatsächlich: selten hat man so viele Leute über so viel Zukunftsmodelle streiten und diskutieren hören.

Kevin Kelly zum Beispiel, seines Zeichens ehemaliger Wired-Editor, ist mit seinem „1000 True Fans“-Modell gerade in aller Munde – nicht zu unrecht. Denn auch (oder gerade) in Zeiten des Internets sieht er für DJs, Musiker und Künstler Möglichkeiten, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Eintausend sogenannte „wahre Fans“ benötigt man laut Kelley hierfür. Was aber ist denn ein „wahrer Fan“?

„Wahre Fans“, so Kelly, sind gewillt alles zu kaufen, was ihr Idol anzubieten hat: sie fahren 300 km, um einem Konzert beiwohnen zu können. Sie kaufen die Super-Deluxe-Box des neuen Albums, obwohl sie die einfache Version bereits im Regal stehen haben. Sie haben jedes T-Shirt und das limitierte Tour-Poster und lassen es zudem noch von Ihrem Idol unterschreiben. Kurz um, es handelt sich um echte Fans. Diejenigen DJs, Produzenten und Künstler unter uns, die schon ein Weilchen dabei sind, wissen was gemeint ist. Jeder von uns hatte oder hat immer noch solche „wahren Fans“ – sicherlich nicht viele, aber es gibt sie.

Wie das „1000 True Fans“-Modell funktioniert

Kelly postuliert also, daß diese 1000 „wahren Fans“ Ihrem Idol ca. $100 pro Jahr für Musik, Konzerttickets, Merchandise u.a. in den Geldbeutel spülen. Genug, um ein ordentliches Leben führen zu können, wenn man bedenkt, daß das Internet die eigenen Produktionskosten deutlich senkt.

Im Gegensatz zu allerlei Kritikern dieses Modells sind wir der Meinung, daß das dahinter liegende Konzept sehr schlüssig und erfolgversprechend ist. Dennoch ist Kellys Modell, so schön und einfach es im ersten Moment auch klingen mag, mit Vorsicht zu genießen. Markus trifft es in seinem PolkaRobot-Blog eigentlich sehr gut:

Ich finde aber, dass Kevin Kelly den Kern ganz gut getroffen hat, der so im Endeffekt auch von Unternehmen angewendet wird: Spezialisierung auf eine Nische und Aufbau einer kleinen aber nachhaltigen Stammkundschaft. Dazu muss sich der Künstler jedoch erstmal über seine Nische im Klaren sein, auf Kundenwünsche reagieren und sich seiner gesamten Handlungsmöglichkeiten bewusst sein.

Auf genau diese Handlungsmöglichkeiten aber wurde bislang von keinem so richtig eingegangen. Auch Kelly hält sich in diesem Punkt vornehm zurück:

The key challenge is that you have to maintain direct contact with your 1,000 True Fans. They are giving you their support directly. Maybe they come to your house concerts, or they are buying your DVDs from your website, or they order your prints from Pictopia. As much as possible you retain the full amount of their support. You also benefit from the direct feedback and love.

Stattdessen ist von sozialen Netzwerken die Rede, von RSS-Feeds, MySpace- und Facebook-Profilen und von der Möglichkeit, mit Hilfe von ein bisschen Technologie den Fans den gesammten Schaffenskatalog via eigener Website zugänglich zu machen. Vergessen wird dabei, dass zu allererst einmal ein Produktkatalog vorhanden sein muss. Wer möchte, dass seine Fans $100 für Musik, T-Shirts und Konzertkarten ausgeben, muß sicherstellen, dass es genug Dinge im Wert von $100 zu kaufen gibt.

Der unsichtbare Vorteil von Hebelwirkung

„Hebelwirkung“ ist hier das entscheidende Stichwort. Wer in der Lage ist, ohne großen zusätzlichen Aufwand sein Produkt in unterschiedlichen Version zu verkaufen, ist klar im Vorteil. Trent Reznor (Nine Inch Nails) ist hierfür, im Gegensatz zu Radiohead, ein gelungenes Beispiel.

Während sich Radiohead mehr oder weniger zufällig dazu entschieden haben, ihr aktuelles Album zu einem vom Konsumenten frei bestimmbaren Preis anzubieten, experimientiert Reznor schon seit längerer Zeit mit diversen Online-Distributionsmodellen. Sein Album „Ghosts I–IV“ stellte er in unterschiedlichsten Versionen zur Verfügung: von einer kostenlosen Version, die er selbst auf diversen Torrent-Plattformen unterbrachte, bis hin zur auf 2500 Stück limitierten Deluxe-Edition für $300. Letzte war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, der Mehraufwand für diese Deluxe-Edition aber war minimal. Die Songs waren schließlich bereits aufgenommen, das Cover-Design bereits für die herkömmliche CD entworfen. Lediglich Videoaufnahmen und die Hintergrundinformationen mussten noch zusammengetragen und eine aufwendigere Verpackung hergestellt werden. „Hebelwirkung“ eben.

Dazu kommt, dass sich Reznor bemüht, möglichst viel und vor allem wertvollen Kontakt zu seinen Fans zu haben. Er liest diverse Foren, antwortet auf eventuelle Fragen und stellt seine Songs im qualitativ hochwertigen 24/96-FLAC-Format online zur Verfügung, um audiophile Liebhaber zu befriedigen. Denn eines ist klar ersichtlich: ein „wahrer Fan“ will umsorgt sein, sich verstanden fühlen. Ein Umstand, der zwar einleuchtet, aber nicht immer so einfach umzusetzen ist – und das nicht nur auf Grund des nicht zu unterschätzenden Zeitaufwands.

Denn die oben genannte Arbeits- und Denkweise ist den meisten Künstlern eher fremd und viele scheuen sich davor, sich allzusehr mit den geschäftlichen Aspekt auseinanderzusetzen. Geschweige denn sich auf diesem Gebiet neue Fähigkeiten anzueignen oder gar Mitarbeiter anzustellen bzw. bestimmte Tätigkeiten an Dritte auszulagern.So verwundert es nicht, daß die meisten Kritiker von Kelleys Modell Künstler sind, die noch in der traditionellen Arbeits- und Distributionsdenkweise leben: der Künstler schreibt und spielt die Musik, um alles andere Kümmern sich die Labels.

Künstler oder Fanbetreuer?

Dabei bieten sich gerade die „wahren Fans“ als engagierte Mitarbeiter an. New Yorks Afrobeat-Band Antibalas ist diesen Weg bereits gegangen. Auf ihrer Website, ihrer MySpace-Seite und in ihrem Newsletter riefen sie Fans in den jeweiligen Spielorten dazu auf, Plakate und Poster zu verteilen und so für das Konzert zu werben. Als Gegenleistung gab es freien Eintritt oder kostenlose CDs. DJ Vadim nutzte diese Idee für seine letzte US-Tour ebenfalls.

Die Hauptaufgabe für eine erfolgreiche Umsetzung des Modells besteht also darin, direkten Kontakt mit seinen Fans herzustellen und zu halten – wie Kelly bereits richtig feststellte: The key challenge is that you have to maintain direct contact with your 1,000 True Fans … You also benefit from the direct feedback and love.

Dem letzte Satz sollte dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Geschickt angestellt und einen guten Draht zu seinen Fans vorausgesetzt, ist man so nämlich in der Lage, Wünsche und Bedürfnisse seiner Fans vorab herauszufinden. 4Hero veranschaulichen dies mit Ihrer aktuellen Umfrage bestens.

Natürlich liefert man sich so auch seinen Fans aus, was nicht immer im Sinne des DJs oder Produzenten ist. Im Gegenteil, bricht es doch mit der unausgesprochenen, post-romantischen Vorstellung von der künstlerischen Unabhängigkeit. Kelly, der sich selbst nicht als Künstler sieht, nimmt das recht locker: It rewards the artist to remain true, to focus on the unique aspects of their work, the qualities that True Fans appreciate. Ein kleiner Widerspruch zu all der erwähnten Mehrarbeit, die man als Künstler nun zu tätigen hat.

Darf man als Künstler also wieder hoffen?

Kevin Kellys Modell ist ein gangbarer Weg für DJs, Produzenten und Künstler, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen – auch ohne Millionen von Fans. Dennoch schadet es nicht, sich über die von Kelly zusammengetragenen Ideen und Erkenntnisse Gedanken zu machen und darüber zu diskutieren.

Deshalb möchten wir nun von Euch wissen, was Ihr über „1000 True Fans“ denkt. Eure Meinung ist gefragt, tragt sie als Kommentar unten ein.


Tags für diesen Eintrag: business, internet, kevin kelly, marketing, musik

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